Keynote Speakers
Priv.-Doz.in Mag.a Dr.in Barbara Herzog-Punzenberger
Urban Diversity Education – Gedanken zur Pädagog*innenbildung in der Migrationsgesellschaft
25.09.2023 von 09:00 bis 10:30
Univ.in-Prof.in Dr.in Alisha M.B. Heinemann
Critical Diversity Literacy und die ‚Kunst kompliziert zu denken‘
26.09.2023 von 09:00 bis 10:30
Dr.in phil. Rahel More
Diversität und Intersektionalität ableismkritischer Debatten – und ihre Relevanz in (sozial)pädagogischen Kontexten
26.09.2023 von 12:30 bis 14:00
Urban Diversity Education –
Gedanken zur Pädagog*innenbildung in der Migrationsgesellschaft
Im Rahmen dieses ÖFEB-Kongresses werden bildungswissenschaftliche Zugänge und pädagogische Perspektiven zu Diversität präsentiert und diskutiert werden. Selten stand dabei bisher die Pädagog*innenausbildung im Zentrum der Forschung, wenig wurden die Diversitätskompetenzen der Lehrenden an den Ausbildungsinstitutionen diskutiert oder die Strategien ihrer Führungskräfte. Schnell und gewissermaßen leichterhand wird ein dichotomes Bild entworfen, in dem es ein Oben und Unten gibt – oben die Politiker*innen, die Mächtigen, die alles bewirken und verhindern können, unten alle anderen, die nur empfangen und ausführen, gezwungen werden und erleiden. In dieser banalisierten Analyse von Macht- und Steuerungsmechanismen gibt es kein Dazwischen, keine Akteure, die Verantwortung tragen und Entscheidungen fällen würden auf den unterschiedlichen Ebenen der Hierarchie. So verläuft man sich leicht in Verschwörungsgedanken und empfindet sich ferngesteuert von einem „System“. Ich möchte den Blick auf das Dazwischen richten – gewissermaßen auf uns. Wie organisieren wir, wie strukturieren wir, wie gestalten wir Prozesse? Welche Inhalte und welche Personen wählen wir aus? Welche Kompromisse können wir eingehen?
Bevor ich aber das tue, werde ich einen Blick auf die Diskurse und Gedankenwelten, die unseren Ambitionen und Erklärungsansätzen zugrunde liegen, werfen. Denn es ist nicht zufällig, dass sich gerade die Ausbildung der Pädagog*innen und hier insbesondere der Lehrer*innen in den Schulen gegen die Durchdringung des Diversitätsgedankens als sperrig erweisen. Die Schule dient der Reproduktion der Gesellschaft. In ihr materialisiert sich der Kampf zwischen unterschiedlichen Weltbildern, in denen die Pole Traditionalismus und Emanzipation das tatsächliche Kontinuum an Orientierungen und vor allem seiner inhärenten Widersprüche kaum abzubilden imstande sind. Als theoretischer Angelpunkt erweist dich die Figur des methodologischen Nationalismus als hilfreich, da wir die politische Ordnung, in der es die sprachlich, kulturell, religiös homogene Gemeinschaft gibt, als latente gedankliche Folie einverleibt in uns tragen. Nicht zuletzt wird dieses Bild von einer Geschichte genährt, in der Diversität jeder Art ausgerottet wurde und dadurch nach dem 2. Weltkrieg eine sehr viel homogenere Gesellschaft Ausgangspunkt unseres Schulwesens wurde.
Der Migrations- und Bildungsforscher Manfred Oberlechner legte 2018 einen Artikel vor, in dem er vier Dimensionen der inklusiven und intersektionalen Migrationspädagogik in der Pädagog*innenbildung diskutierte: das Curriculum, die Prozesse, die Personalebene und die Organisation als Ganzes. Im Vortrag werde ich auf die vier Dimensionen mit Bezug auf die Organisationsform Pädagogische Hochschule eingehen und leitende Konzepte, wie das Werte- und Analysedreieck der Urban Diversity Education, das sich dem „kritisch-reflexiven Lehrer- und Lehrerinnenhabitus“ zuordnen lässt, erläutern. Abschließend laden die Fragen wieviel Diversität in einer Organisationskultur machbar ist und wie wir Diversität organisieren, sodass sie den notwendigen Zusammenhalt und unsere gemeinsamen Ziele unterstützen, zur weiterführenden Diskussion ein.
Priv.-Doz.in Mag.a Dr.in Barbara
Herzog-Punzenberger
Kurzbeschreibung
Barbara Herzog-Punzenberger (Mag.a Kultur- und Sozialanthropologie, Postgrad. Dipl. Politikwissenschaft, Dr.in Soziologie, Habil. Bildungswissenschaft) ist seit Oktober 2022 Rektorin der Pädagogischen Hochschule Wien. Von 2018-2022 war sie Univ.-Prof.in für Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik an der Universität Innsbruck und davor als Wissenschafterin an der Johannes Kepler Universität Linz, dem Bundesinstitut für Bildungsforschung, Entwicklung und Innovation im österreichischen Bildungswesen sowie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und am International Center for Migration Policy Development. Sie verbrachte einen Forschungsaufenthalt an der University of Calgary in Kanada, lehrte an der Universität Hannover, der Wirtschaftsuniversität Wien, Universität Wien, Universität Salzburg, Universität Innsbruck, Universität Linz und arbeitete in zahlreichen internationalen Projekten u.a. für die Europäische Kommission und die OECD.
Critical Diversity Literacy und die ‚Kunst kompliziert zu denken‘
In ihrem Konzept der Critical Diversity Literacy (CDL) führt Melissa Steyn (2021) zehn machtkritische und postkolonial perspektivierte Kriterien aus, die sie als Lernziele für eine diversitätssensible ‚Lesepraxis‘ in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts formuliert. Steyn sieht dabei insbesondere Menschen mit höchsten Bildungsabschlüssen und Führungspositionen in der Verantwortung (S. 39). Folgen wir Gramsci und seinem berühmten Satz: Jedes Verhältnis von ‚Hegemonie‘ ist notwendigerweise ein pädagogisches Verhältnis. (Gramsci 2012, 80 [Heft 10 (Teil 2) §44]) müssen in dem Zusammenhang insbesondere auch diejenigen in den Blick genommen werden, die pädagogische Räume verantworten und leiten. Insbesondere auf der Folie des gegenwärtig weltweit parallel stattfindenden Aufstiegs nationalistischer, faschistischer Kräfte, die demokratische Ordnungen bedrohen und die gesellschaftliche Spaltung vorantreiben, wird Critical Diversity Literacy als Teil pädagogischer Professionalisierung unhintergehbar.
Am Beispiel von empirischen Ergebnissen von zwei abgeschlossenen Projekten in der beruflichen Bildung (DUBB und SteBs) wird im Vortrag erstens spezifisch auf die Zusammenhänge von Digitalisierungsprozessen und Ungleichheit in Lernräumen (DUBB) eingegangen und darauf aufbauende Überlegungen auf der Folie des CDL-Konzepts vorgestellt (Honkomp-Wilkens et al. im Erscheinen). Zweitens werden Argumentationsmuster in pädagogischen Räumen nachgezeichnet, die eine Verankerung von kritischen Diversitätsansätzen immer wieder aufs Neue behindern, trotz der erhöhten gesellschaftlichen Aufmerksamkeit für Rassismus, (Hetero-)Sexismus, Klassismus, Ableismus u.a. Differenzlinien. Dies sind Argumente wie jenes im Titel des Vortrags, dass ein differenzsensibles Handeln von der ‚Kunst kompliziert zu denken‘ abhänge – und damit einer Kunst, deren Beherrschung als Zumutung konstruiert wird (Heinemann 2023). Anliegen der Präsentation ist es, diese Muster schneller erkennen, ihnen dadurch entgegenwirken zu können und ein Wissen darüber schon in die pädagogische Ausbildung von Lehrenden zu integrieren (SteBs). Nur in diskriminierungsarmen pädagogischen Räumen lassen sich nachhaltig demokratische Verhältnisse schützen beziehungsweise überhaupt erst entwickeln.
Univ.in-Prof.in Dr.in Alisha M.B. Heinemann
Kurzbeschreibung
Univ.-Prof. Dr. Alisha M.B. Heinemann leitet den Arbeitsbereich Bildungsverläufe und Diversität im Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Bremen. Sie ist dort im Institut Technik und Bildung verortet, wo sie insbesondere zu Fragen von kritischer Berufs- und Erwachsenenbildung und Diversitätsforschung, pädagogischer Professionalität in der Migrationsgesellschaft sowie zum Übergang Schule – Beruf aus post- und dekolonialen Theorieperspektiven heraus forscht und lehrt und das think*lab leitet, in dem Doktorand*innen machtkritisch perspektiviert an erziehungswissenschaftlichen Fragenstellungen arbeiten. Aktuell ist ihr gemeinsam mit Univ.-Prof. Dr. Yalιz Akbaba konzipierter Sammelband mit dem Titel ‚Erziehungswissenschaften Dekolonisieren. Theoretische Debatten und praxisorientierte Impulse‘ im Beltz Verlag im open access erschienen.
Diversität und Intersektionalität ableismkritischer Debatten – und ihre Relevanz in (sozial)pädagogischen Kontexten
Ableism ist ein Macht- und Herrschaftsverhältnis, das Menschen aufgrund von Fähigkeit diskriminiert oder privilegiert. Seit einigen Jahren erfährt dieses international sowie im deutschsprachigen Raum zunehmende Aufmerksamkeit. Unter dem Begriff Ableism (bzw. auch Ableismus) findet sich mittlerweile eine Fülle einschlägiger wissenschaftlicher und aktivistischer Veröffentlichungen, die seiner Komplexität mehr oder weniger umfassend Rechnung tragen. Während nämlich Ableism häufig ausschließlich mit einer binären Unterscheidungslogik zwischen behindert/nichtbehindert und der damit verbundenen Diskriminierung assoziiert wird, sind ableistische Herrschaftsverhältnisse intersektional wirksam. Nur ein Bruchteil der wissenschaftlichen Publikationen zu Ableism befasst sich grundlegend mit dessen Intersektionalität und in der internationalen Fachdebatte scheint – trotz gegensätzlicher Ausrichtung der prominentesten Stimmen – tendenziell ein verkürztes Verständnis von Ableism als Diskriminierung und/oder Vorurteile gegenüber behinderten Menschen zu überwiegen. Zugleich existieren u.a. im deutschsprachigen Raum auch differenzierte Auseinandersetzungen mit Ableism und fähigkeitsindividualisierenden Zwängen sowie damit verbundenen Ein- und Ausschlussmechanismen.
In diesem Vortrag werden zunächst basierend auf dem laufenden Forschungsprojekt Ableism, the dis/ability binary and beyond[1], in dem gemeinsam mit feministischen behinderten Aktivistinnen aus verschiedenen Ländern des globalen Nordens Ableism (weiter) theoretisiert wird, Konzeptualisierungen von und Perspektiven auf Ableism nachgezeichnet. Diese werden mit Bezügen auf die Theorie-, Forschungs- und Aktivismuslandschaft zu Ableism beleuchtet und dabei insbesondere die Diversität und Intersektionalität ableismkritischer Debatten in den Blick genommen, um darauf aufbauend die Relevanz wissenschaftlicher und aktivistischer Perspektiven auf Ableism in (sozial)pädagogischen Kontexten aufzuzeigen. Warum sowohl eine Perspektivenvielfalt als auch ein feministischer intersektionaler Ansatz der Ableismkritik in der Erziehungswissenschaft relevant ist, wird anhand einiger Beispiele diskutiert, u.a. mit Bezügen auf (sozial)pädagogische Handlungsfelder sowie auf die Möglichkeiten und Grenzen ableismkritischer Pädagogik.
[1] Gefördert durch den FWF (Projektnummer ESP 414).
Dr.in phil. Rahel More
Kurzbeschreibung
Rahel More, Dr.in phil., Postdoc am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien, dort Leitung des Forschungsprojekts Ableism, the dis/ability binary and beyond (gefördert durch den FWF, ESP 414) sowie Leitung des Forschungsprojekts Child welfare services, disabled children, and their families (gefördert durch die ÖAW, APART GSK 12065) am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz. Mitglied des Kärntner Monitoringausschusses zur Überwachung der Umsetzung der UN-BRK.
Studium der Sozialpädagogik und Disability Studies an der Universität Island in Reykjavík, dort wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Centre for Disability Studies. Anschließend Doktoratsstudium der Philosophie sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Klagenfurt. Lehrtätigkeit an den Universitäten Klagenfurt, Salzburg und Wien.
[1] Gefördert durch den FWF (Projektnummer ESP 414).